Neulich war ich zu einem Frauennetzwerkabend eingeladen. Die Organisatorin ist charmismatisch und kontaktfreudig, attraktiv und voller Elan. Irgendwie hat sie einen Narren an mir gefressen und wollte mich dabei haben. Wir trafen uns in meiner Lieblingsgalerie. 2 Reihen voller Frauen saßen da – ein Durchschnitt durch unsere Gesellschaft von jung bis alt von stylisch bis nachlässig, von kurvig bis gertenschlank. Ich erwartete nicht viel. Dann begann der Abend. Und ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Gleich zu Beginn überrumpelte mich die Galeristin coram publico: “Almut, würdest du bitte die Einführung in die aktuelle Ausstellung übernehmen?” Ich?? Echt jetzt? Ich war ganz schön verdattert. Allerdings war ich an dieser Überraschungsattacke nicht ganz unschuldig, hatte ich doch nach meinem Besuch des Pre-Opening spontan einen Text über die überwältigende weibliche Kraft der Bilder geschrieben. Die Exponate im ersten Raum strotzen nur so von Farbe, femininer Energie und Fruchtbarkeit. Im hinteren Raum wird die andere Seite des weiblichen Prinzips thematisiert, das Spirituell-Mystische sowie das Abwartende, Empfangende. Hier sieht man eine fast monochrome Unterwasserwelt von überwältigender Stille geprägt. Für mich war die Botschaft der Werke nichts Geringeres als “Die Erde braucht das ganze Potenzial der weiblichen Kraft. Jetzt!”
Mit dieser Botschaft starteten wir in den Abend. Ich hielt eine flammende Rede von der Kraft des Femininen und wie wichtig sie ist, um unsere Erde, die vom maskulinen Prinzip (nicht von “den Männern”!!) derart geschunden wurde, zu retten.
Als der “Elevator Pitch” begann, betraten alle Anwesenden nacheinander die Bühne. Jede erzählte über sich und ihre Passion, ihren Weg und ihren Traum. Da waren eine Professorin und Buchautorin, die nun als Malerin nach den Sternen greift, Coachinnen für Vorstände mit weltweitem Klientel, It-Spezialistinnen, eine Sales-Expertin mit Top-Karriere, die nun hochwertigen Punkschmuck herstellt, eine Mutter von 5 Kindern, die sich erst im zehnten Satz auch noch als Investmentbankerin entpuppte, zwei Gründerinnen erfolgreicher Startups, eine hochsensitive Traumatherapeutin, eine Opernsängerin, eine junge Fotografin, die eigentlich mal etwas ganz anderes gelernt hatte und mehr. Allen Vorträgen war gemein, dass die Frauen ihr Licht unter den Scheffel stellten. Die groß gewachsenen Frauen duckten sich, die Molligen versteckten sich in wallenden Kleidern. Die Frauen mit Kindern zeigten sich als “nur Mutter”, die Start-up-Gründerinnen freuten sich sehr verhalten über eingeworbene Millionen. “Wieso sind die nicht stolz auf sich?”, fragte ich mich.
Fast am Schluss betrat eine sehr zurückhaltende, zarte Frau die Bühne. Als sie über sich zu sprechen begann, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Für sie war es schmerzhaft, in das Rampenlicht zu treten. Nur die Scham, es nicht zu tun, war noch größer. Wir wurden ganz still. Die junge Frau stellte sich als eine der top KI-Spezialistinnen in Deutschland mit einem Lehrauftrag an der Uni heraus. Aktuell schreibe sie parallel an 2 Büchern. Die Verträge seien bereits unterzeichnet, die Verlage scharrten mit den Hufen. Ach ja, ein Kochbuch mit Rezepten ihrer orientalischen Heimat sei ebenfalls in Arbeit. “Wahnsinn”, dachten wir alle. Doch sie überraschte uns: Sie schreibt sie nicht zu Ende. Sie kann nicht. Was andere Frauen sich sehnlich erträumen – ein Autorenvertrag, ein großer Verlag, der ihre Botschaft in die Welt bringen will, Ruhm in Aussicht – alle diese Hürden hat die scheue Elfe längst genommen. Doch sie springt nicht. Was hält sie zurück?
Beim abschließenden Netzwerken hatte ich das Glück, mit ihr sprechen zu können. Wieder kamen Tränen als Antwort auf meine Fragen. Es stellte sich heraus, dass die junge KI-Spezialistin ein Familientrauma trägt. Aus einer sehr wohlhabenden Familie mit höchstem Sozialstatus stammend verloren sie mit der Flucht aus der Heimat alles. Ärzte mussten als Hausmeister arbeiten, Millionäre mit einer schäbigen Mietwohnung Vorlieb nehmen. Abgeschitten von der eigenen Sprache, Kultur der sozialen Einbindung und Anerkennung war das Leben nur noch Schmach und Schmerz. Das sitzt tief.
“Wenn ich die Bücher vollende, dann werde ich berühmt. Wenn ich berühmt werde, bedeutet das viel Geld und Anerkennung. Ich habe solche Angst, alles wieder zu verlieren. Das würde meine Familie nicht verkraften.” Mein überwältigender Impuls war, sie in die Arme zu nehmen. Was für eine Qual. Welche Falle für den eigenen Weg.
Im Fachjargon nennen wir das “Dysfunktionale Loyalität”. Die junge Frau solidarisierte sich mit ihrer Familie im Leid . “Ihnen geht es schlecht, also darf es mir nicht gut gehen. Sie haben alles verloren, also geschieht mir das auch.” Ich fragte sie, wie es für sie wäre, das Ganze umzudrehen und schlug ihr einige Varianten vor:
1. “Mit dem Geld, das das Buch einbringt, kaufe ich meinen Eltern ein schönes Zuhause”. Ihre Augen und ihr Kopf bewegten sich leicht.
2. “In Anerkennung des Leides meiner Familie widme ich ihnen meinen künftigen Erfolg.” Keine Reaktion.
Die stärkste Resonanz hatte schließlich dieser Satz: “Mit meinem Erfolg stelle ich die Familienehre wieder her.” Er zauberte ein Lächeln in das zarte Gesicht.
Angst vor dem Erfolg, vor der Sichtbarkeit, vor Wohlstand tragen viele Frauen mit sich herum. Du auch? Probiere doch mal, die Glaubenssätze und Überzeugungen umzudrehen. Was wäre, wenn du nicht mehr mit-leiden würdest, sondern zur Heldin und Befreierin der Familie würdest? Du brauchst nur etwas Fantasie und einen neuen Rahmen. Stellst du ihn her und glaubst ihn dir wirklich, so kannst du tiefe Hindernisse ganzer Ahnenreihen überwinden. Danach ist die Bahn frei und du kannst deine Talente und Träume leben und – vor allem – auch die Ernte genießen.
Kommt, wir öffnen jetzt die Kisten und heben deine darin liegenden Schätze. Die Welt wartet auf dich.